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Sieben Tage zum Schein

Sie haben genau eine Woche Zeit. Dann müssen sie fit sein für die praktische SKS-Prüfung. Auf Ausbildungstörn mit sieben Segelführerschein-Anwärtern.

All ships, all ships, all ships!“ Lautstark krächzend beendet das Funkgerät eine viel zu kurze Nacht. Kopf an Kopf drängt sich eine Hand voll unrasierter Gesichter um den Navitisch. Gespannte Stille herrscht, als der Wetterbericht verlesen wird. Zuerst auf Englisch, dann auf Niederländisch. Für ungeübte Zuhörer so aufschlussreich wie eine Speisekarte auf Mandarin. Entsprechend ahnungslos zucken 14 Schultern. Hauptsache der Skipper weiß, wie es draußen wird. Außerdem sorgt zunächst einmal die erste gemeinsame Nacht an Bord für Gesprächsstoff. Erschreckend röchelnde Geräusche seien aus den Achterkajüten zu vernehmen gewesen. Aber was soll’s. Echte Seebären schnarchen nun mal.

Kurz nach dem Frühstück verrät dann nicht nur das Plätschern unter dem Kiel, sondern auch das zufriedene Grinsen in den Gesichtern der Crew, dass es endlich losgeht. Sechs Tage, dann kommen die Prüfer an Bord. Nichts scheint so entfernt wie dieser Termin – noch. Sie sind zu siebt, kommen aus Düsseldorf oder der näheren Umgebung und haben nur eines im Sinn: den Sportküstenschifferschein, kurz SKS. Die Theorie haben sie im Frühjahr hinter sich gebracht, nun ist der praktische Teil dran. Segelerfahrung ist bei allen mehr oder weniger vorhanden. Lücken soll Skipper Andreas Fleuth von der Segelschule Fleuth-Sailing schließen. In sieben Tagen auf einer Sun Kiss 47 auf dem IJsselmeer.

Die Fender verstaut, die Festmacherleinen sauber aufgeschossen, und der Hafen von Lemmer wird achteraus schon bald zum Punkt am Horizont. Wären die zwischen 30 und 40 Jahre alten Männer noch kleine Jungs mit Sand in den Taschen – spätestens jetzt wäre das Cockpit von quengelnden „Ich will auch“-Rufen erfüllt. Die Logistik des Ausbilders besticht jedoch durch Logik: sieben Tage, sieben „Skipper of the Day“ und Steuermannwechsel im Stundentakt. Wer von der Crew Jollensegler ist, zeigt sich deutlich durch mehrfaches Verwechseln von Anluven und Abfallen. „Vergiss die Pinne, fahr einfach Auto.“ Simpler Tipp, gutes Ergebnis. Rasch gehören die ersten Fehler der Vergangenheit an. Spätestens nach der x-ten Wende oder Halse in Folge sowie dem 20. Mann-über-Bord-Manöver streicht auch der Gutgläubigste an Bord das Wort Urlaub aus seinen Gedanken. Selbst Fortbildung wäre glatt gelogen. Pure Arbeit, schwerste Maloche ist es! Das GPS zeichnet derweil Linien auf den Bildschirm, die zum Figurenraten einladen.

Herausforderung Nordsee! Schaffen wir es hier, schaffen wir es überall, sind sich die Schein-Aspiranten sicher. Nach Passieren der Schleuse bei Kornwerderzand dann aber die längsten Gesichter seit der Bekanntmachung, dass Britney Spears einen festen Freund hat: Die Nordsee ist spiegelglatt, also dieselt der Motor mit 5 Knoten durchs Wasser. Hat sich die Fock nicht gerade ein bisschen bewegt? Tatsächlich, Wind kommt auf. Gerade genug, um sich auf ein kleines Rennen mit einer Bavaria 42 einzulassen. Anfängliche Schadenfreude wegen Raumgewinns – Kommentar vom Skipper: „Yes, Länge läuft!“ – wird schnell mit Vorsprungverlust wegen Schneidens der Fahrwassertonnen von Seiten des Gegners bestraft. Kommentar des Skippers diesmal: „Tja, Tiefgang behindert.“ Ein großzügiges Unentschieden ist zwar schnell beschlossene Sache, doch das Einlaufen in Oudeschild auf Texel steht ganz im Zeichen des Unsichtbarmachens gegenüber allen Bavarias dieser Welt.

Weniger die Schlaflosigkeit aufgrund der Windrotorengeräusche am Hafenbecken, sondern vielmehr der Stromatlas zwingt am nächsten Tag zum Auslaufen gegen 6 Uhr früh. Nach einigen Bechern Kaffee und einem Frühstück auf die Hand heißt es dann: Manövertraining auf der Nordsee – der Arbeitstag beginnt. Aber: Der Wind ist schon wieder eingeschlafen. Erneut beginnt das Vernichten fossiler Brennstoffe auf offener See. Also doch Urlaub? Die einzige Ablenkung bringt der Funk: „Sécurité, Sécurité, Sécurité!“ Auf Kanal 16 kommt ein Hinweis auf eine kontrollierte Unterwasserexplosion für 13.50 Uhr auf 52° 52’ Nord und 4° 3’ Ost. Koordinaten, die erfreulicherweise sehr weit weg liegen.

So schlapp sich die Nordsee auch präsentiert, richtig spannend wird es im Amsterdam-Nordsee-Kanal. Amerikahafen, Afrikahafen, turmhohe Bananenfrachter und geschäftiges Treiben auf dem Wasser lassen die Betriebswirte an Bord über die komplexe Logistik des Welthandels philosophieren. Für alle anderen eine willkommene Gelegenheit für ein ausgedehntes Nickerchen. „Schleuse voraus!“ Nach Passieren der Oranjesluizen kurz hinter Amsterdam läuft das Prüflingsschiff ins Markermeer, Zielhafen Muiden. Passend zum Wetterumschwung – bisher sorgte die Sonne für helle Brillenhämatome im Gesicht und goldblonde Härchen auf den Unterarmen – bemerkt man am nächsten Tag einen Wechsel der Gesprächsthemen an Bord. „Erzähl mal was über den Prüfer, Skipper. Kennst du den, ist der nett oder streng oder wie oder was?“ Nasen werden immer öfter in Fachbücher statt in Vanille-Vla-Tüten, die holländische Pudding Spezialität, gesteckt. Und ein paar Jungs verzieren alle an Bord auffindbaren Tampen mit Knoten.

Die Segelmanöver werden intensiviert, die schlappen Sonnenstunden mit Flaute fehlen dem Praxistraining spürbar. Kein Wunder, dass am folgenden Tag erst spät in Hoorn eingelaufen wird. Auch am Tresen in der Hafenkneipe bleibt das Gespräch monothematisch. Tag zwei vor SKS beginnt in ungewohntem Outfit. Rettungswesten sind angesagt. Nach mehreren An- und Ablegeproben im Hafen zeigt das IJsselmeer den Unterschied zwischen Mann-über-Bord-Manövern „light“ und solchen bei Windstärke 6. Macht es einerseits mehr Spaß, bei viel Wind zu segeln, muss andererseits mächtig umgedacht werden. Aufschießer bei 7 Knoten laufen plötzlich bis zum Polarkreis und der mittschiffs mit Bootshaken bewaffnete bis dato erfolgsverwöhnte Aufpicker verflucht seinen Job. „Optimale Übungsbedingungen“, ruft der Skipper und eröffnet grinsend die nächste Runde. „Sch…“, denkt die Crew und schmeißt sich zum x-ten Mal in die Schoten. Die Feuchtigkeit, die den Männern an den Winschen den Rücken herunterläuft, ist alles, nur kein Regen. Beiliegen, Segel schiften, Mann-über-Bord-Manöver, Halse und Wende, Wende und Halse – so oft, bis es allen aus dem selbigen heraushängt. „Die Manöver sinderst dann perfekt, wenn die Frau in der Pantry davon nichts merkt“, sagt der Skipper. Politisch gesehen zwar mächtig unkorrekt, dafür aber schön anschaulich erklärt.

Gute Arbeit muss belohnt werden. In diesem Fall mit einem bevorzugten Liegeplatz im Hafen von Enkhuizen, gleich in der Nähe des Waschhauses. Mehr noch: endlich schlechtes Wetter, endlich mit schwerer Segeljacke, Kragen hoch und Breitbeingang in die nächste Hafenkneipe. „’t Ankertje“, einer von vielen guten Tipps des Skippers, übertrifft sämtliche Erwartungen. Zerfurchte Gesichter, lange Bärte und Öljacken, so weit die Theke reicht. Eine richtige Seemannskaschemme. Doch der nächste Tag, die letzte Chance zum Üben, naht unausweichlich.

Der Morgen beginnt mit schwerem Kopf, aber voller Enthusiasmus. „Heute gilt’s!“, sagt Mister Fleuth-Sailing, und alle wissen, dass es ihm ernst ist. „Ich will perfekte Manöver, Top-Kommunikation und ein gutes Gefühl.“ Wow! Wenn das keine Motivation ist. Dennoch bahnt sich eine Katastrophe an: Nichts klappt, jeder Handgriff wird zum Fehlgriff. Einfachste Manöver werden versaut, die Verständigung zwischen Steuermann und dem Rest der Crew ist erbärmlich. Kurz gesagt: Die Nerven liegen blank. Zum ersten Mal ist sogar der Skipper verunsichert. „Was ist los? Ihr könnt es doch, ich hab’s gesehen, mehr Konzentration, verdammt.“ Mit Weisheiten à la „fürchterliche Generalprobe, super Premiere“ versuchen sich die Kandidaten zu beruhigen. So richtig dran glauben will aber keiner. Noch zerknirscht wegen der schlechten Manöver wird die Besatzung plötzlich mit einem ganz anderen – wenn auch sehr praxisbezogenen – Problem konfrontiert: Sturm! Der Himmel wird pechschwarz, und der Wind erreicht in Spitzen die magische Grenze von 10 Beaufort. Das IJsselmeer bittet zum Tanz.

„Lifelines einpicken, Groß rein, Fock auf Taschentuchgröße“, kommt es diesmal vom Skipper, der für ein paar Minuten das Ruder übernimmt. Erstaunlich: Jeder Handgriff sitzt plötzlich, alle Fehler sind Vergangenheit. Als kurze Zeit später der Skipper trocken bemerkt: „Genießt es, so was wird euch im Mittelmeer nicht geboten“, ist jedem klar, dass er sich in guten Händen befindet. Das gilt leider nicht für alle, die gerade auf dem IJsselmeer unterwegs sind. Kanal 16 spricht Bände. Eine deutsche Chartercrew – ein Skipper und vier Nichtsegler – verlieren offenbar die Nerven, wollen „einfach nur raus hier“ und geben in ihrer Panik eine Positionsmeldung ab, die südlich der Seychellen liegt. Ein weiterer Beweis dafür, dass beim Segeln eben nicht allein der Schein, sondern andere Dinge zählen: Praxis, Praxis und nochmals Praxis. Ganze drei Stunden dauert die Bolzerei, dann ist Lemmer erreicht und der letzte Übungstag vorbei. Beim Einlaufen erkennt man schon von weitem mehrere zerfetzte Focksegel.

Trotz des Damoklesschwertes SKS-Prüfung steht jetzt eine heiße Dusche und das Trocknen der Klamotten höher im Kurs als ein erneutes Auslaufen. Um die entgangenen Übungsstunden aufzuholen, wird einstimmig beschlossen: Falls es das Wetter zulässt, geht es morgen um 5 Uhr früh raus. Drei wertvolle Stunden zusätzlich bis zur Prüfung. Dass in der Nacht kaum einer schläft, liegt sicher nicht nur an den 7 Beaufort, die im Hafen das Hin- und Hergewälze in den Kojen automatisieren.

Übermüdet und reichlich schweigsam fliegen gegen 4.30 Uhr dann tatsächlich die Festmacher an Land. Es folgt ein letztes Abfackeln aller relevanten Übungen, dann fühlen sich alle einigermaßen sicher. Sollen sie doch kommen, die Prüfer! Und das tun sie, wenn auch mit unerträglichen 15 Minuten Verspätung. Der eine ist ziemlich groß, der andere ziemlich bärtig, und – damit hat keiner gerechnet – beide sind ziemlich freundlich. Nach Erledigung diverser Formalitäten geht es ganz schnell: „Na, dann mal los. Ablegen und raus. Sie fangen an!“ Die Hände des ersten Opfers werden feucht, ein tiefes Atemholen, und jeder ist erstaunt über die feste Stimme, mit der die Kommandos übers Deck schallen.

„Welche Festmacher können Sie bei diesem Wind lösen, ohne dass etwas passiert?“, kommt die simple, aber unerwartete Frage des Prüfers. „Die auf der Lee-Seite“, hört man den Gefragten mit einem kleinen Fragezeichen versehen sagen. „Klar, die Lee-Seite, ’türlich“, sagt der Prüfer. Der Seitenwind drückt die Jeanneau mächtig nach Steuerbord, die Finger zucken schon in Richtung Bugstrahlruder-Anlage. Aber: „Nicht bei der Prüfung“, schießt es durch den Kopf. Und wirklich, es geht auch ohne. In den Gesichtern sieht man eine Mischung aus Mitleid und Schrecken, jeder kann der Nächste sein. „Bei welcher Windrichtung bleiben Sie auch ohne Festmacherleinen auf den Punkt genau liegen?“, setzt der Prüfer zum nächsten Dolchstoß an. Die Antwort der Crew: Schweigen. „Na, wenn der Wind genau von oben kommt, haha!“, kalauert der Prüfer. Das Lächeln der Prüflinge wirkt gequält.

In den nächsten Minuten wandert der Blick immer wieder auf die Hände des Prüfers. Gleich wird er es tun. Kaum zu Ende gedacht, fliegt der erste Fender auch schon über Bord. Die Kommandos und Aktionen kommen schnell und fehlerfrei. Keine zwei Minuten später hängt er wieder an Bord. Das löst die erste Anspannung. Unter Segel geht die Fahrt weiter. Alle wissen genau, was als Nächstes kommt: Mann-über-Bord, diesmal unter vollem Tuch. Seltsamerweise denkt keiner mehr darüber nach, was er macht, sondern erledigt es einfach, schaut nicht mehr, woher der Wind kommt, sondern weiß es einfach. Ein beruhigendes Gefühl. Die Gewissheit, dass sich die Crew für den jeweiligen Prüfling voll ins Zeug legt, tut ein Übriges. Einer der Prüfer stellt hier und da noch ein paar fiese Fragen. Dennoch vergehen zwei Stunden wie im Flug.

Nachdem alle ihre Manöver ohne größere Probleme gefahren sind und das erlösende „Zurück zum Hafen“ ertönt ist, hellen sich die Mienen auf. Das Urteil wird noch vor dem Festmachen verkündet: „Glückwunsch, alle bestanden.“ Wie in einem Werbespot steht die Freundin des Skippers am Steg und empfängt die frisch gebackenen SKS’ler mit Sekt. Ein letztes Anstoßen, ein ernst gemeintes Dankeschön an den Skipper, der Rest ist Schlafen.

Text + Fotos: Thomas Volberg

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